
Ob wuseliger Versammlungsort oder großzügiger Freiraum, ob repräsentative »gute Stube« oder betriebsamer Markt – Plätze sind gleichermaßen öffentliche Treffpunkte und Visitenkarten ihrer Umgebung. Auch unser Wedding hat ganz vielfältige Plätze zu bieten. An manchen steppt sprichwörtlich der Bär, an anderen sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht.
Im Rahmen dieser kleinen Serie werden wir einen Platz nach dem anderen vorstellen. Wetten, dass auch Sie noch nicht alle davon kennen?
Zur Abwechslung stöbern wir heute nicht durch die weite Welt, sondern wandeln auf den Spuren unseres eigenen Bezirks – und man mag kaum glauben, dass der Wedding lange Zeit ein landwirtschaftlich geprägtes Gebiet war.
Am Rand des Berliner Urstromtals lag nahe der Panke im frühen 13. Jahrhundert die Siedlung »Weddinge« nebst gleichnamigem Ritterhof. Während das Dorf bereits zur Jahrhundertmitte aufgegeben wurde, erfreuten die fruchtbaren Ländereien und die profitable Pankemühle den ritterlichen Geldbeutel. Seit 1601 unterhielt hier, zwischen Reinickendorfer Straße, Wedding- und Pankstraße, der kurfürstliche Kämmerer und Geheimrat Graf Schlick von Passau und Weisskirchen ein Gut, von dem aus intensive Viehwirtschaft und Schäferei betrieben wurden.

Nachdem es infolge des 30jährigen Krieges verfallen war, erwarb Berlin 1817 das Gehöft. In Hobrechts »Bebauungsplan für Berlin und Umgebung« aus dem Jahr 1862 erscheint dann erstmals in unmittelbarer Nähe der Platz, um den es im heutigen Beitrag geht. Seine räumliche Gestalt war schon immer etwas außergewöhnlicher als die anderer Plätze, denn schon Hobrecht richtete seine Planung nach den Gegebenheiten: so existierten seinerzeit bereits die Landstraßen nach Reinickendorf und Pankow sowie die heutige Gerichtstraße.

1884 wurde der Platz nach Joachim Nettelbeck (1738–1824) benannt, der sich vom Fischhändler und Seefahrer zum Brauer und Schnapsbrenner hochgearbeitet hatte und in der pommerschen Hafenstadt Kolberg (heute polnisch Kołobrzeg) zum Ständevertreter aufgestiegen war. Sein Verdienst war die erfolgreiche Verteidigung Kolbergs 1807 gegen die belagernden napoleonischen Truppen.
Der Nettelbeckplatz wurde durch seine Lage und die Nähe zu wichtigen Verkehrsadern (S-Bahn mit Bahnhof Wedding, Reinickendorfer Straße und Pankstraße) zu einer wichtigen Kreuzung und Weggabelung: zwischen den Weltkriegen hielten hier vier Bus- und Straßenbahnlinien. Der Verkehr hatte Vorrang, die durchgehende Reinickendorfer Straße teilte den Platz in zwei Freiflächen. Diese Situation begünstigte die Verwendung als Aufmarschplatz für politische Kundgebungen. In bitterer Erinnerung ist der »Blutmai« geblieben. Am 1. Mai 1929 schlug die Polizei mit Panzerwagen und Maschinengewehren die traditionelle Maidemonstration nieder, zu der die KPD trotz Versammlungsverbots aufgerufen hatte.

Nach dem Krieg zu einem verkehrsumbrausten Rundplatz umgebaut, verkam der Nettelbeckplatz zu einem Knotenpunkt ohne Erholungs- oder Begegnungsfunktion. Obwohl schon 1967 der Straßenbahnverkehr eingestellt worden war, erhielt das Areal erst ab 1985 seinen Charakter als Stadtplatz zurück. Die Verkehrsströme wurden am Ostrand gebündelt, in die seither abknickende Reinickendorfer Straße geleitet und so ein Großteil des Platzes verkehrsberuhigt. An der Nordseite hegen neue Wohnbauten mit Gewerbenutzung im Erdgeschoss den Platz ein, der nun am Rand platanenumsäumt und rasenbegrünt sowie in der Mitte gepflastert ist. Blickpunkt im Zentrum ist die Brunnenplastik »Tanz auf dem Vulkan« der Bildhauerin Ludmila Seefried-Matejková.

Soweit ich es beobachten konnte, nehmen die Anwohner den Platz zur Erholung und Kommunikation an: Regelmäßig finden Markttage statt, rundherum gibt es ein vielfältiges gastronomisches Angebot, Kinder klettern auf der Skulptur herum, während die Mütter die Kinderwagen hütend ein Schwätzchen halten, und zwei Bänke weiter vertreiben sich einige den Tag mit Kippchen und Dosenbier.